bb. Als Nora B.* in meine Praxis kam, machte sie kein Hehl aus ihrer Skepsis. Sie hätte schon vieles unternommen um die Höhenangst, sowie die Angst vor engen Räumen und Menschenmengen zu überwinden. Nichts hätte bis jetzt geholfen. Sie wolle es aber doch noch einmal versuchen, denn sie liebe die Bergwelt und Wandern sei ihre und ihres Ehemannes Leidenschaft. Aber sobald sie auf einer bestimmten Höhe käme, überfiele sie jeweils panische Angst.
Humorvoll beschrieb sie ihren Ärger bei dem Versuch auf das Dach der Kapelle auf dem Monte Salvatore, hoch über dem Lago Maggiore, zu steigen. Sie hätte es noch nie bis auf das Dach geschafft.
Gemeinsam gingen wir der Ursache dieser Höhenangst nach.
Nora fand sich schnell in einer früheren Existenz, in der sie in Graubünden, sehr zufrieden als der Ziegenhirt Manfred Scholl, genannt ‚Manni‘ hoch in den Bergen gelebt hatte.
‚Manni‘ lebte für seine Ziegen. Er brauchte keinen Hirtenhund, da die Ziegenherde nicht von seiner Seite wich. Die Verbindung mit den Tieren war sehr stark
1862, mit 65 Jahren stürzte er ab. Ein Ziegenkitz hatte sich von der Herde entfernt und war hoch eine Felsenwand hinauf geklettert. Obwohl ‚Manni‘ wusste, dass das Kitz von selbst wiederkommen würde, kletterte er ihm flink nach. Als er aber auf einer lockeren Felsplatte trat, stürzte er damit unerwartet in die Tiefe. Es geschah so überraschend, dass er nicht begriff, dass er zu Tode gestürzt war.
Nachdem dieses Trauma aufgelöst war, bat ich Nora mir über ihre nächsten Erfahrungen mit der ‚Höhenangst‘ zu berichten.
Mit Noras Erlaubnis gebe ich hier den Inhalt des Mails, den sie mir ein paar Wochen später als Rückmeldung schrieb, wieder:
„Mail vom 03. August
Betreff: ... Und alles wegen einer Ziege...
„Ich möchte Ihnen nur eine kurze Rückmeldung von unserem Wanderurlaub am Lago Maggiore schicken.
Ich weiss nicht, wie Sie es gemacht haben, aber meine ganze Höhenangst, ist wie weggeblasen!!!
Das Erste, was wir sofort nach unserer Ankunft gemacht haben, war, nach Lugano auf den Monte San Salvatore zu fahren, um zu testen, ob ich es auf das Dach dieser Kapelle, die einige hundert Meter über dem See auf der Bergspitze steht, schaffe. Ich bin auf das Dach "gesprungen", als ob ich nie etwas anderes gemacht hätte. Auch andere Wanderwege, die entlang einiger sehr tiefen Schluchten und Felswände führten, meisterte ich ohne die geringsten Probleme. Ich verstand gar nicht, wo eigentlich vorher mein Problem lag...
Mein Mann sagte ständig zu mir, ich solle nicht so nah an den Abgründen rangehen. Seine erste Reaktion waren übrigens die Worte "einfach unfassbar", die er mindestens 10 x wiederholte. :o)
Ich habe Ihnen noch drei kleine "Beweisbilder" an diese Email drangehängt.“
bb. Als Nora wieder in meine Praxis kam, legte sie lachend ihr Portemonnaie, das Brillenetui und ihren Schlüsselanhänger auf den Tisch. Alles war aus Ziegenleder! Sie hätte schon immer eine Schwäche für Ziegenleder gehabt und hätte eine Unmenge Dinge aus diesem Material.
Sie erzählte auch, wie sie und ihr Mann einer Ziegenherde begegnet seien. Die Ziegen seien ihnen direkt entgegen gekommen als würden sie sie begrüssen. Fünf davon seien um sie herum gestanden um erst nach einer guten Weile sich wieder dem Fressen zu widmen. Seitdem zieht Nora Ziegen an. Sie kommen zu ihr, lassen sich streicheln und gehen dann wieder ihrer Wege.
Klaustrophobie
In dieser nächsten Sitzung sind wir auf die Suche nach dem Ursprung für Noras Angst vor engen Räumen und die grosse Angst vor Menschenmengen gegangen.
Noras Zeitreise führte sie nach Alexandria im Jahre 726v.Ch. Dort lebte sie als „Salaum“. Er selbst war frei, seine Mutter war eine Bediente und der Vater Zwangsarbeiter beim Bau einer Pyramide. Als er 16 Jahre alt war, wurde er entführt um am Bau eines Palastes als Sklave zu arbeiten. Vier Jahre später stürzte ein Teil des noch im Bau befindlichen Palastes in sich zusammen. Die Sklaven, die am eingestürzten Flügel des Palastes gearbeitet hatten wurden deswegen hart bestraft. Sie wurden zusammen in einer sehr engen Grube, in der sie nur stehend Platz hatten, geworfen und dann der Sonne überlassen. Keiner von ihnen überlebte die Strafe.
Wir bearbeiteten gemeinsam dieses Trauma und lösten es auf.
Nora wurde ungeduldig. Sie wollte sobald wie möglich nachprüfen ob sie tatsächlich auch diese Angst überwunden hatte. Wir einigten uns darüber, dass der Säntis die idealen Voraussetzungen für beide Phobien bot. Sowohl eine ordentliche Kletterpartie für die indessen überwundene Höhenangst, wie auch eine meistens überfüllte Seilbahn-Gondel für die Fahrt zu Tal.
Kurz darauf bekam ich eine Mail in dem Nora ihre Erfahrungen und Gefühle nach empfinden lässt:
„Mail vom 10. September
Betreff: Experiment Säntis
„… Ich bin Ihnen noch ein Bericht schuldig über unseren Besuch auf dem Säntis am letzten Samstag.
Ich sage vorweg nur so viel: G R A N D I O S!
Was ich nun also mit 1000%iger Sicherheit sagen kann ist, dass meine Höhenangst definitiv irgendwo im Nirwana verschwunden ist. Nicht nur, dass es richtig Spass gemacht hat, mal an einem „Hang für Erwachsene“ langzulaufen, nein, ich hatte meine wahre Freude am letzten Stück vor der Bergstation, bei dem es auf einigen befestigten Metalltritten die nackte Felswand hoch ging. Absolut Klasse!
Mein Mann hat am Tag darauf sämtliche vorhandenen Wanderführer durchgeblättert und nach Wanderungen im gehobenen Schwierigkeitsgrad gesucht (so hoch hinaus wie möglich), die man möglichst noch dieses Jahr machen kann…
Dann zum zweiten Punkt: Alptraum 80-Personen-Gondel den Säntis abwärts….
Zugegeben, ich war sehr nervös, vor allem als ich auf dem kleinen Monitor die Zahlen der freien Plätze drastisch nach unten habe sinken sehen.
Aber okay, ich musste ja schliesslich rein ob ich wollte oder nicht. Meine Herzfrequenz war irgendwo jenseits von Gut und Böse – wie immer halt – aber als ich in der Gondel drinnen war, fand ich es plötzlich ganz okay. Nix mehr mit krampfhaft aus dem Fenster schauen, Ohren zu halten, sich in eine andere Welt flüchten, beten, dass es vorbei ist…. Nööö – ich habe dann sogar angefangen mich in der Gondel umzuschauen, mir die Gesichter der Leute angesehen und fand es auch noch interessant, als die Gondel unterwegs angehalten hat. Alles ganz relaxed.
Ich weiss schon wieder nicht, wie Sie das gemacht haben (oder wie Sie sagen, ich das gemacht habe), aber es hat funktioniert. Ich werde am Sonntag auf jeden Fall ohne Tabletten ins Flugzeug einsteigen und ich glaube fast, dass die Panik ausbleiben wird.
Kurzum: Ich war am Samstagabend stolz wie Oskar und das „Experiment Säntis“ war ein voller Erfolg…“
bb. Das Anhalten der Gondel hoch über den Abgrund, ist eine Situation die, auch bei völlig angstfreien Menschen, mehr oder weniger Unbehagen aufkommen lässt. Nora empfand es als „interessant“…
Später bekam Nora von mir einige spektakuläre Bilder von kletternden Ziegen. Ich wusste sie würde Freude daran haben. .
Aus ihrem nächsten Mail kam aber hervor, dass die Angst vor Menschenmengen doch noch nicht völlig überwunden war.
„Mail vom 29. Oktober
Betreff: Experiment Säntis
„… Jetzt haben sie mich zum Schmunzeln gebracht mit den ganzen Ziegen…. Die Bilder sind klasse und ich finde diese Tiere nach wie vor faszinierend, wie die klettern und sich fortbewegen können ist einfach irre. Wenn wir in den Bergen sind und Steinböcke, Ziegen oder was auch immer sehen, können wir denen stundenlang zuschauen.
Berge sind ja sowieso meine Welt schlechthin….
Leider hat es mit weiteren Klettereien, außer dem Säntis, dieses Jahr nicht mehr geklappt, da wir ja Mitte September in den Urlaub geflogen sind.
Aber apropos Urlaub: Da hat irgendwas noch nicht so ganz funktioniert mit den vielen Leuten im Flugzeug bzw. auch in einem überfüllten Bus.
Aufzug und Seilbahn sind mittlerweile problemlos zu meistern, aber ich habe im Flugzeug wieder Angst bekommen. Auf dem Hinflug ging es einigermaßen gut nachdem ich zu meinem Sitznachbarn „Vertrauen aufgebaut habe“, aber der Rückflug war wieder schlimm. Wir hatten in der Nacht der Abreise Sturm und zuerst habe ich vor dem Wind Angst gehabt (war aber alles gut), dann aber im Flugzeug selbst habe ich schließlich doch wieder eine Tablette nehmen müssen.
Das gleiche geschah mir im, bis zum Dach völlig überfüllten Bus von Palma de Mallorca zu unserem Hotel. Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte auszusteigen und zu laufen, hätte ich lieber einen stundenlangen Fußmarsch in Kauf genommen.
Sie sehen, da gibt es doch noch was, woran man arbeiten kann. Aber wir sehen uns ja in der kommenden Woche wieder und dann schauen wir mal weiter, oder?...“
bb. Es musste also noch ein anderes Trauma mit dieser Thematik geben. Auffallend war, dass in beiden Fällen sich Nora in einem menschenüberfüllten „länglichen“ Raum befand: Flugzeug und Bus.
Nora fand sich sehr bald in der Person von Judith …* wieder. In Berlin 1913 geboren, lebte sie seit ihrer Heirat in den USA. Sie beschrieb ganz detailliert ihr Leben. 1958 wollte sie von Berlin, Tegel nach New York, La Guardia mit einer Maschine der American Airlines fliegen. Die Maschine verunglückte aber bei der Landung in La Guardia und sie starb mit 45 Jahren.
*(Familiennamen und weitere Angaben fallen unter Datenschutz.)
In der Rückführung ergab sich eine Zeitverschiebung von zwei Jahren. Judith gab an 1956 und nicht 1958 gestorben zu sein. So eine Zeitverschiebung ist sonst nur erkenntlich wenn die Ereignisse historisch nachprüfbar sind.
1956 muss Judith eine stark emotionale Erfahrung gemacht haben, während ihr Tod beim Flugzeugabsturz völlig unbewusst blieb. Das Unterbewusstsein hatte nur diese Erfahrung als wichtiges Ereignis registriert, da ihr Tod, überschattet von immens panischen Angst, unerkannt blieb.
„Mail vom 06. November
Betreff: Fragen wegen gestern Abend
„Darf ich Sie nochmal ganz kurz bzgl. der Sitzung von gestern Abend belästigen? Ich habe da ein oder zwei Fragen, die mir einfach keine Ruhe lassen.
Es geht nochmal um diesen Flugzeugabsturz 1956.
Ich bin mir 1000% sicher, dass ich die Fluggesellschaft ausfindig gemacht habe, und zwar war das die American Airlines.
Ich habe mich ja auch in einem Flug von Berlin nach La Guardia gesehen und ich habe im Internet nachgeforscht. Es gibt im Jahr 1956 keinen Absturz mit dieser Airline, aber im Jahr 1958 ist eine American Airlines beim Landeanflug auf La Guardia verunglückt.
Ich möchte mich nur nochmal vergewissern, in wie weit bzw. ob die Jahre abweichen können, die ich gesehen habe, also ob der Unfall tatsächlich auch im Jahr 1958 gewesen sein könnte anstelle im Jahr 1956.
Und… Kann die Strecke auch abweichen? Ich bin mir ganz sicher mit La Guardia, aber ob ich tatsächlich von Berlin abgeflogen bin...?
Ich meine, ich kam ja viel rum in der Welt....
Sorry, dass ich so viel frage, aber mich beschäftigt das alles natürlich ziemlich.“
bb. Die Zweifel, die über den Wahrheitsgehalt des Erlebten jeweils aufkommen, gehören Erfahrungsgemäss zum 'Impact' von "... und es stimmt doch!" - „Kann es wirklich so sein…?“
Ein undefinierbares Gefühl des 'sich nicht trauen es zu glauben', gemischt mit einem 'sich ertappt fühlen', Angst zu lügen... und... und... Vergleichbar mit den Gefühlen eines Kindes, das zum ersten Mal einen Apfel geklaut hat!
„Mail vom 06. November
Betreff: Fragen wegen gestern Abend
„… Heute Morgen ist übrigens auch noch etwas Komisches passiert:
Sie haben mir gestern Abend gesagt, dass ich in einen vollen Bus oder Zug einsteigen soll, um zu testen, ob sich etwas verändert hat.
Und stellen Sie sich vor: Normalerweise fährt auf meiner Zugstrecke von … nach … morgens immer ein Zug mit zwei aneinandergehängten Waggons, da der Zug sehr frequentiert ist. Heute Morgen kam der Zug doch prompt mit nur 1 Waggon angefahren, der natürlich bis unters Dach überfüllt war... Wenn das mal nicht von "Oben" als Test gekommen ist....
Mir haben die Menschen heute Morgen nichts ausgemacht, ich stand mittendrin eingequetscht und mir war es egal!...“
„Mail vom 05. Mai
Betreff: Sechs Monate sind vergangen
„… Ich habe mit einer neuen Anfrage so lange gewartet, da ich auch wegen meiner Angst vor Menschen und der Enge, aus der man nicht fliehen kann - speziell im voll besetzten Flugzeug - bei Ihnen war.
Ich wusste, dass in der letzten Woche ein Flug auf mich zukam und wollte noch abwarten, welche Reaktion sich bei mir einstellt, ob die Angst denn nun weg ist oder nicht.
Ich kann Ihnen sagen: Alles prima!!! Keine Angst mehr vor Enge und Menschen im Flugzeug, ich glaube, das ist alles weg!!! - auch wenn ich immer noch Angst habe, dass das wieder kommen könnte, aber die Höhenangst ist ja auch nicht mehr gekommen, ich muss wohl noch ein bisschen Vertrauen in mich selbst aufbauen…“
* Name geändert. E-Mail Texte und Bild mit ihrer Genehmigung wiedergeben.